15.Apr.2005

Ortsnamen - Wandel, Wüstung, Übertragung

Schriftlich überliefert liegen die meisten Ortsnamen erst seit gut 1000 Jahren vor, für nur wenige (dann häufig Ortsnamen aus dem Südwesten, die im römischen Einflussgebiet lagen) gibt es ältere Belege.
Angesichts des hohen Alters der meisten Ortsnamen ist es nicht verwunderlich, dass sich in ihnen Wortgut verbirgt, dass heute unverständlich ist. So sind denn Ortsnamen wunderbare Hilfsmittel, um Sprache, wie sie vor hunderten Jahren verwendet wurde, zu rekonstruieren.
Gleichzeitg darf deshalb die Deutung eines Ortsnamens nie von seiner heutigen Form aus erfolgen! Vielmehr muss sie sich auf möglichst weit zurückreichende, alte Belege stützen!

Über die Zeit wurden die Wörter, die sich in Ortsnamen verbargen nicht mehr verstanden. Das in ihnen enthaltene Wortgut wurde durch sprachlichen Wandel undurchsichtig. Die Menschen begannen, die Ortsnamen losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung zu benutzen oder gar an anderes, ihnen bekanntes Wortgut anzuschließen.
Wenn heute eine Bedeutung nahe liegen zu scheint, heißt das keineswegs, dass es sich dabei auch um das ursprüngliche Motiv des Ortsnamens handelt.

Zu Beginn wurde angeführt, dass die spontane Vergabe von Ortsnamen eine neuere Erscheinung ist. Folgende Einschränkung muss dabei allerdings gemacht werden.
Ortsnamen wurden bereits vor ca. 1000 Jahren spontan vergeben. Dann aber i.d.R. durch sog. Übertragung von Ortsnamen.

Ortsnamenübertragung

Wenn Siedler in neues Gebiet vordrangen und dort einen Ort gründeten, gaben sie diesem oft einen Namen, der ihnen in der alten Heimat geläufig war. Etliche Beispiele aus der Zeit der Ostsiedlung belegen dies.
Indikatoren für Übertragungen sind u.a. Ortsnamen, die nicht zu den tatsächlichen Gegebenheiten passen (z.B. ein -furt-Name, wo kein Wasser ist), Namen, die Lauterscheinungen aufweisen, die für das Gebiet nicht typisch sind (z.B. oberdeutsche Namen im niederdeutschen Sprachraum), oder wenn Ortsnamen gehäuft auftreten, die zusammenliegende Pendants in anderen Gebieten vorweisen können. Hier bietet sich die Möglichkeit, anhand von Ortsnamen Wanderungsvorgänge zurückzuverfolgen.

Wüstungen

Haben alle Ortsnamen überlebt?
Diese Frage läßt sich mit einem klaren "Nein" beantworten.
Durch Konflikte, unfruchtbares gewordenes Land o.ä. wurden etliche Siedlungen im Lauf der Zeit aufgegeben, sie wurden wüst. Mit dem wüst werden von Orten verschwanden zumeist auch ihre Namen. Mit etwas Glück sind sie noch in Flurnamen enthalten oder lassen sich in alten Urkunden aufstöbern.

Festzuhalten bleibt, dass Ortsnamen in vieler Hinsicht Sprache konserviert haben. Unter Beachtung der Gesetze des Lautwandels und mit Berücksichtigung alter Quellen lassen sich darin Wörter finden, die längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind.
Einzigartig ist, dass Ortsnamen die Möglichkeit bieten, auf einer Karte punktgenau festzuhalten, wo welche Wörter verwandt wurden, wo welche Erscheinungen des Lautwandels stattfanden und wo nicht.