16.Okt.2006

Alteuropa-Theorie

Bei der Beschäftigung mit Hydronymen stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass diese ganz eigenen Gesetzen gehorchten. Dazu gehört die Bildungsweise der alten Namen, ihre Verbreitung über fast ganz Europa und die Ähnlichkeit vieler Namen - obwohl sie oft weit voneinander entfernt sind.

Hans Krahe formulierte, auf diese Besonderheiten aufbauend, die sog. Alteuropatheorie. Nach dieser sind diese Namen schon vor der Herausbildung der Einzelsprachen entstanden und können daher keiner von diesen zugerechnet werden. Er nahm deshalb eine Vorstufe an und nannte sie "Alteuropäisch".

W. P. Schmid unterzog diese Theorie einer kritischen Prüfung und konnte herausstellen, dass das "Alteuropäische" Hans Krahes nichts anderes ist als das Indoeuropäische, die gemeinsame Vorstufe der meisten europäischen Sprachen.

Schon Krahe hatte Kriterien formuliert, wann ein Name "alteuropäisch" ist, die auch von Schmid präzisiert wurden:

  1. Der Name darf nicht aus einer Sprache oder einer ihrer Vorstufen an dem das Gewässer liegt erklärbar sein.
  2. Er muss indoeuropäische Etymologie und Struktur (Bildungsweise) zeigen. (siehe den Punkt Bildungsweise)
  3. Seine Semantik muss im Wortfeld Wasser, fließen, strömen etc. oder im Eigenschaftsbereich des Wassers liegen.
  4. Der Name muss ein Gewässer in Europa bezeichnen.
  5. Der Name muss mindestens einen etymologisch und semantisch Verwandten in Europa haben.

Verbreitung der alten Namen

Hans Krahe ermittelte die Verbreitung der alten Namen: Sie reichen von Skandinavien bis Unteritalien, ganz Westeuropa bis zu den baltischen Ostseeländern (Estland, Lettland, Litauen). Jürgen Udolph konnte später die Ostgrenze bis zum Don ausweiten und W. P. Schmid ermittelte eine Landgrenze in Nordgriechenland. Umstritten ist die Verbreitung in den Mittelmeerländern und Südfrankreich, denn hier sei, so Krahe, diese Namenschicht erst sekundär eingeführt worden und überlagere hier ältere Schichten. Während der Forschungen stellte sich noch eine weitere Besonderheit heraus, nämlich die Kontinuitätszentren solcher Namen.

Kontinuitätszentren:

Man stellte bald fest, dass fast alle Gewässernamen eine Entsprechung, d. h. eine ähnlich gebildeten Namen im Baltikum haben. Vorsicht ist jedoch bei der Interpretation dieses Befundes geboten, denn die Namen strahlten wohl nicht von hier ins restliche Europa aus, sondern wurden hier einfach nur besser bewahrt. Ein zweites Zentrum dieser Art findet sich an der Mosel. Die unterschiedlich große Dichte des Namenbestandes ist eine Frage der Namentradition und der Anzahl der zu benennenden Objekte.

Man sollte nun aber nicht annehmen, dass nur in diesen zwei Zentren "alteuropäische" Gewässernamen vorkommen. Vielmehr verhält es sich so, dass ganz Europa von einem Netz voreinzelsprachlicher Namen überzogen ist. Bei den Zentren handelt es sich also nur im Stellen, an denen die Namen in einer recht frühen sprachlichen Form noch heute vorkommen. Die europaweite Vernetzung spiegeln vor allem die an die Wurzel angetretenen Suffixe wider. Es lassen sich nämlich Namenreihen bilden wie Al(i)a - Al(a) - Alma - Alna.