15.Aug.2022

Gendersensible Vornamen

Ilustration_genderneutrale_person

Gendern polarisiert. Doch es ist irrelevant, ob Sie gendergerechte Sprache doof oder fantastisch finden, denn als Gesellschaft befinden wir uns inmitten eines Aushandlungsprozesses, in dessen Zuge die Sprache gendergerechter werden wird. Die Sprache ändert sich. Das wird sich künftig auch an Tendenzen der Vornamengebung feststellen lassen. Lassen Sie uns dazu zunächst drei Punkte festhalten:

1. Vornamen haften Konnotationen an, die es erlauben, Vermutungen über Eigenschaften der Namenträger anzustellen, inklusive Vermutungen zum Geschlecht.

2. Die Vergabe von Vornamen erfolgt immer aus dem Wertesystem und dem kulturellen Umfeld der Eltern heraus.

3. Im deutschen Sprachraum findet derzeit ein kultureller und sprachlicher Wandel statt, der dazu führt, dass Menschen sensibler mit dem Thema Gender und Gender-Fluidität umgehen werden.

Was bedeutet das nun für die Zukunft der Vornamen?

Es ist problemlos möglich, bei der Geburt eines Kindes mehr als einen Vornamen zu vergeben. Welcher der Vornamen der Rufname ist, wird nicht amtlich festgelegt. Das heißt, jede Person kann theoretisch frei zwischen ihren eingetragenen Vornamen wählen, auch später im Leben. Da mehrere Vornamen keine Nachteile haben, ist es Eltern aus praktischen Gründen grundsätzlich anzuraten, mehr als einen Namen zu vergeben. In der Vergangenheit wurde von Standesämtern i. d. R. dazu geraten, Vornamen, die es als nicht geschlechtseindeutig ansieht, um einen weiteren Vornamen zu ergänzen, der vom Standesamt als geschlechtseindeutig angesehen wird. Mit dem kulturellen und sprachlichen Wandel gehe ich davon aus, dass sich diese vermeintlich eindeutige Zuschreibung von Geschlechtern zu Namen langsam auflösen wird.

Tatsächlich gibt es jetzt schon einige Bespiele, in denen vermeintlich geschlechtseindeutige Vornamen die Geschlechtergrenzen überspringen. So ist es z. B. möglich, dass auch Männer den Vornamen Maria tragen, wenn auch nicht als alleinigen Vornamen. Männer können auch Andrea heißen, ein Name, der im deutschen Sprachraum in erster Linie als weiblich verstanden wird, im Italienischen aber ein männlicher Vorname ist. Das Urteil zum Fall Kiran veränderte die Dynamik, denn das Gericht urteilte, dass für die vom Standesamt gesehene Notwendigkeit eines zweiten eindeutigen Vornamens „[…] weder eine gesetzliche Grundlage [besteht, ] noch erfordert das Kindeswohl eine solche Einschränkung des elterlichen Bestimmungsrechts.“ Das Verfassungsgericht sagt also, dass, auch wenn er nicht geschlechtseindeutig ist, ein Vorname ausreichend sei.

Geschlechtsidentität wechseln - und dann?

Weil es in der Vergangenheit kaum in der Wahrnehmung der Gesellschaft war, wurde dem kaum Beachtung geschenkt, langsam dringt es aber weiter ins Bewusstsein der Einzelnen vor: Eine Person wird in ihrem späteren Leben gegebenenfalls ihr biologisches Geschlecht infrage stellen. Das bringt allerlei Hürden mit sich. Eine davon kann der Name sein. Ist er geschlechtseindeutig markiert, kollidiert er mit der Identität der Person und wird von ihr abgelehnt.

Werdende Eltern können hier vorbeugen. Das werden sie vor allem dann tun, wenn sie mit Blick auf Genderfluidität sensibel sind, d. h. es sind vor allem die kommenden Elterngenerationen, die diesen Aspekt berücksichtigen werden. Vornamen, die mehrheitlich nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden, gibt es zahlreich. Es können Namen aus anderen Sprachen sein, wie zum Beispiel Elia, Nuri, Anta, Sahin, Loy, Zeki oder Ulin, die nicht in Muster passen, die Deutschsprechende als geschlechtsgebunden erkennen.

Zur Auswahl stehen auch Namen, die schon länger für beide Geschlechter benutzt werden, weil sie Kurzformen anderen Namen sind oder aus etymologisch unterschiedlichen Formen entstanden, die graphemisch zusammenfallen, z. B. Kim, Sam, Chris, Jamie, Jule, Mika oder Robin. Neben geschlechtlich unmarkierten Vornamen kann auch eine Tendenz einsetzen, den Vornamen solche beizumischen, die nicht dem biologischen Geschlecht entsprechen. Warum soll ein Junge nicht drei eingetragene Vornamen bekommen, unter denen ein vor allem weiblich verstandener ist, z. B. Ben Lukas Lena, warum ein Mädchen nicht Luise Leni Peter heißen? Ungewöhnlich? Momentan ja, aber rechtlich möglich ist es.

Künftig mehr geschlechtsneutrale Vornamen

Ich gehe davon aus, dass Effekte der Genderdebatte auch in der Vornamenvergabe für Neugeborene sichtbar werden. Es werden verstärkt nicht-geschlechtseindeutige Namen vergeben werden, mindestens als einer von mehreren Vornamen. Denkbar ist zudem, dass unter mehreren eingetragenen Vornamen auch solche auftreten werden, die nach heutiger Lesart nicht zum biologischen Geschlecht des Kindes passen. Aktuell ist das anhand der häufigsten Vornamen für Neugeborene noch nicht nachweisbar. Wenn wir in zehn Jahren aber auf die Top-10-Listen der Gesellschaft für deutsche Sprache oder von Knud Bielefeld schauen werden, bin ich sicher, dass dort mindestens zwei oder drei geschlechtsneutrale Vornamen stehen werden.