Der Ortsname Leipzig: Neue Ansätze
In den letzten Jahren hat sich um die Herkunft und Entwicklungsgeschichte des Ortsnamen Leipzig eine wissenschaftliche Diskussion entwickelt. Die bislang geltende onomastische Herkunftsherleitung ist zwar nicht widerlegt, mittlerweile wird diese aber als hochmittelalterliche Eindeutung des altsorbischen lipa (dt. Linde) in einen Ortsnamen mit älterer etymologischer Basis gedeutet. Die Frage ist, ob von einer vorslawischen Bildung für den Ortsnamen Leipzig und damit von einer altsorbischen Anbindung an einen älteren Namen auszugehen ist.
Kurzer historischer Abriss zur fraglichen Zeit
Bis 531 n. Chr. gehörte das Gebiet um Leipzig zum damaligen Thüringer Königreich. Nachdem die Thüringer in der Schlacht von Unstrut gegen die merowingischen Franken verloren hatten, verließen viele Thüringer das Gebiet zwischen Saale, Elbe und Mulde. Etwa 600 n. Chr. begannen böhmische Slawen den von den Germanen verlassenen Raum zu besiedeln. Im Bereich des Zusammenflusses von Elster und Parthe entsteht eine slawische Siedlung. Im 10. Jahrhundert werden die slawischen Bauern im Rahmen der Ostexpansion unter Heinrich I durch deutsche Feudalherren unterworfen. Es entsteht eine deutsche Burg auf dem Gebiet. Herrschaftlich gehört das Gebiet zur Markgrafschaft Meißen, kirchlich zum 968 gegründetem Bistum Merseburg. Im 11. Jahrhundert entwickelt sich die Siedlung zu einer Handwerker- und Kaufmannssiedlung. 1015 wird Leipzig vom Bischof Thietmar von Merseburg in seiner Chronik erstmals schriftlich erwähnt. 1017 erwähnt Bischof Thietmar zudem eine christliche Kirche – eine Geschenk von Heinrich II an das Bistum Merseburg. Als Gründungsjahr gilt das Jahr 1165, in dem der Markgraf Otto der Reiche von Meißen dem Ort das Stadtrecht und Marktprivileg verlieh. Damit beginnen auch die mittelalterlichen Kloster- und Kirchenbauten, darunter der der Nikolaikirche.
Die Frühbelege:
(zu 1015) 1015/18 in urbe Libzi vocatur Thietmar Chron. VII 25
(zu 1017 ) 1017/18 aecclesia in Libzi ebd. VII 66
(zu 1080) um 1150 usque Libiz Ann. Pegav. 241
(zu 1088/89) um 1150 Libiz oppidum ebd. 266
1185 Albertus de Libz et frater suus Burzlaus CDS I 2,510
Ab etwa dem 12. Jahrhundert tauchen die -p-haltigen Schreibungen auf, zunächst parallel zu -b-Graphien:
1190/1195 (Actum et datum) in Lipz, Lipzk CDS I 2,560,561
1200 in civitate nostra Lipz CDS I 3,48
[zu 1210] F. um 1229 civitatem Lipczk ebd. 148
1212 apud Libuiz fundavit CDS II 9,1 (DO IV)
Die Frühbelege (u. a. Thietmar Chronik, Pegauer Annalen) zeigen zunächst im Inlaut den stimmhaften Explosivlaut -b-, erst ab 1190/1195 die Tenuis -p-. Zudem finden wir das Suffix -z bzw. altsorbisch -c. Darüber hinaus zeigen die Belege seit etwa 1200 mehrheitlich als Neuerung das altsorbisches Suffix -ьsk(o). Gegen Ende des 12. Jahrhunderts (nach der Stadtgründung) hat entsprechend ein Namenwandel von *Lib(i)z zu *Lip’sk- stattgefunden, der in seiner Struktur mehr oder weniger bis in die Neuzeit erhalten blieb. Diese Struktur wird so interpretiert, dass zum Stamm des Baumnamens lipa (dt. Linde) das altsorbisches Suffix -ьsk(o) hinzugefügt wurde, sodass der Ortsname mit der Semantik „Ort, an dem Linden wachsen“ verbunden werden kann. Eine derartige Deutung unterstützt auch der Name des Leipziger Stadtteils Lindenau.
Was zur Diskussion steht bzw. Raum für Deutungsalternativen gibt
Der „Casus knacksus“ bzw. der zu knackende Punkt ist die Frage, ob die ältere Form *Lib’z bzw.
Lib’iz eine hochmittelalterliche Uminterpretation eines älteren slawischen oder (indo)germanischen resp. alteuropäischen Ortsnamens ist. Insbesondere Hengst hat hier eine indoeuropäische Wurzel zur Diskussion gestellt und nimmt - in Anlehnung an die Rhön aus germ. *Hraunja - einen Raum- bzw. Gebietsnamen germ. *Libja für ‚flusswasserreiche Gegend‘ an, der wiederum zu den urindogermanischen Wurzeln
*lei-/ * lēi- für ‚gießen, tröpfeln, fließen‘ und
*(s)lei- für ‚schleimig, matschig, glitschig‘, aber auch ‚lehmig, klebrig‘
gebildet wurde. Die Wurzel *(s)lei- mit labilem Anlaut ist beispielsweise auch im deutschen Wort Lehm - aus älter Leim – erhalten, möglicherweise auch im deutschen Verb leben (,kleben
bleiben, beharren, leben‘). Eine Deutung in diese Richtung unterstützt auch die Bedeutung des Lößlehms für den Leipziger Raum in Form von Lehmgruben und Ziegeleien. Zum Vergleich kann zudem der litauische Name Litauens Lietuvà herangezogen werden, der wie das litauische Verb líeti ,gießen‘ zur indogermanischen Wurzel *lei- gebildet wurde und mit ,Stromgebiet‘ gleichgesetzt werden kann. Unter Berücksichtigung einer Labialerweiterung der Wurzel ist hypothetisch auch eine indorgermanische Wurzel wie *leibh- als Basis für eine germanische Weiterverwendung möglich.
Zusammengefasst heißt dies, dass der Ortsname *Lib’c bzw. Lib’ic aus dem germanischen *Libja – wahrscheinlich mit Anschluss an die slawische Wurzel *lib- - mithilfe des Suffix -c (urslawisch *‐ьc(ь)) gebildet wurde. Ende des 12. Jahrhunderts hat eine hochmittelalterliche Umdeutung mit der Etymologie lipa ‚Linde‘ stattgefunden, was sich am Wechsel von -b- zu -p- äußert. Zudem hat ein Suffixwechsel von -c zu -sk stattgefunden.
Die Möglichkeit, dass es sich bei Libzi um ein rein slawisches Toponym handelt, das an ein slawisches Lexem adaptiert oder direkt zu einer slawischen Basis gebildet wurde, ist ebenfalls nicht auszuschließen. So könnte das Notat Libzi eine slawische Pluralform darstellen - beispielsweise abgeleitet von einer Personenbezeichnung. In Betracht käme hier die adjektivische Etyma *lib- in der Bedeutung ‚schwach, mager, abgemagert', die als *liḃc < *libьcь einen ʻmageren, schwächlichen [o. ä.] Menschen' bezeichnet. In der Pluralform ist *liḃci dann als ‚Ort von Schwächlingen, hageren Menschen‘ zu deuten. Möglich ist auch der Plural eines Personennamens wie ‚Ort der Familie Liḃc'. Eine analoge Ableitung lässt sich beispielsweise auch für den tschechischen Ortsnamen Slabce (dt. Slabetz) nachweisen, der von tschechisch slabec ‚Schwächling‘ (*Slabьci/*Slabьcě aus sláb < *slabъ 'schwach') abgeleitet ist. Gleiches gilt für den tschechischen Ortsnamen Chaby ʻDorf von Schwächlingen', der vom Adjektiv chabý ‚schlaff, matt, flau' abgeleitet scheint. Darüber hinaus lassen sich im altsorbischen Gebiet mindestens drei Ortsnamen nachweisen, die entweder als Spottnamen für die Bewohner oder als Plural eines Personennamens (mit ebenso spöttischer Konnotation) entstanden sind.
Letztendlich besteht Einigkeit darin, dass die altsorbische Form für Leipzig ursprünglich etwa *Lib-c- (aus *libьcь) gelautet haben muss. Auszuschließen ist bislang weder ein rein slawisches Toponym noch, dass germanische Siedler, die vor der Besiedelung des Leipziger Raums durch die Slawen, einen noch älteren, vorslawischen Namen an die neuen Siedler weitergegeben haben.
Quellen / Zur Vertiefung:
Bichlmeier, Harald (2013): Einige indogermanistische Anmerkungen zur mutmaßlichen Ableitungsgrundlage des Ortsnamens Leipzig: dem Flussnamen urgerm. *Līƀō‐ bzw. dem Gebietsnamen urgerm. *Līƀi̯ a- (mit einem Exkurs zum Namen der Rhön und
einem Anhang mit weiteren Überlegungen zum Namen der Elbe). In: Namenkundliche Informationen /NI 101/102 (2012/2013), Leipziger Universitätsverlag, S. 49–75
Hengst, Karlheinz (2009): Der Name Leipzig als Hinweis auf Gegend mit Wasserreichtum. In: Namenkundliche Informationen 95 / 96, Leipziger Universitätsverlag, S. 21–32.
Koenitz, Bernd (2017): Leipzig – die Herkunft des Namens ist rein slawisch!
Walther, Hans (2009): Leipzigs Name im Lichte seiner Frühüberlieferung. In: Namenkundliche Informationen 95 / 96, Leipziger Universitätsverlag, S. 11-19
Wenzel, Walter (2016): Woher kamen die in der Siedlung Libzi und ihrer Umgebung ansässigen Slawen?
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