30.Dez.2013

Müller? Nie gehört. - Wenn Namen sterben

Namen Grabsteine

Menschen, die mit einem seltenen Namen gesegnet sind, kennen ihn schon: den kunstvollen Verbaltanz aus Wiederholen, Buchstabieren und Umschreiben des Namens bei Restaurantreservierungen, Telefonaten oder beim Kennenlernen auf einer Party. Doch wussten Sie, dass einst auch Müller oder Hinz und Kunz zu den exotischeren Namen zählen könnten? Gehört auch Ihr Nachname zu einer aussterbenden Art?

Erblichkeit oder Sterblichkeit?

Wann stirbt ein Familienname aus? Und wann nicht? Diese Fragen beschäftigen schon länger die Gemüter all derer, die sich für ihre Namens- und Familiengeschichte interessieren. Zwei britische Herren wählten zur Lösung im 19. Jahrhundert einen besonderen Ansatz: die Mathematik. Sir Francis Galton, ein Cousin von Charles Darwin und ein viel publizierter Autor in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, wendete sich mit dieser Frage 1873 an das Magazin Educational Times und erhielt prompt eine Antwort von einem Mann der Kirche und studiertem Mathematiker, Reverend Henry William Watson. Zusammen rückten die beiden einem Spuk zu Leibe, der damals viele adligen Familien um den Schlaf brachte: der möglichen Sterblichkeit ihres über viele Generationen vererbten Nachnamens.

Die fatalen Folgen einer Fixpunktgleichung

In ihrer Rechnung gehen Galton und Watson davon aus, dass Familiennamen nur durch den Vater und nur an männliche Nachfolger weitergegeben werden. Sie betrachteten Populationen, die mit einem Individuum begannen, und kamen mithilfe einer komplexen Formel schnell zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens gering ist, wenn jedes Individuum der Familie im Mittel mehr als einen Nachkommen zeugt. Da es sich bei der angewendeten Formel um eine Fixpunktgleichung handelt, kombinierte Watson jedoch auch, dass jeder Familienname früher oder später aussterben würde. Eine fatale Prognose!

Nachnamen im Wandel der Zeit

Und dennoch ist dieser mathematische Pessimismus verständlich, denn die Zeichen der Zeit sprachen gegen ein Überleben traditioneller Familiennamen. Die Epoche des Viktorianismus, in der Galton und Watson lebten, war geprägt durch rasantes wirtschaftliches Wachstum und technischen Fortschritt. Die Gesellschaft strukturierte sich neu, und das spiegelt sich auch in den Familiennamen der Zeit wieder. Neben angestammten Adelstiteln sind die Namen jener Zeit bereits vermehrt durch das ausgeübte Handwerk geprägt (Butler, Smith, Taylor) oder stammen aus bürgerlichen Schichten (Baldwin, Brown, Jones) [Quelle].

Auch in anderen Epochen zeigt sich gesellschaftlicher Wandel in den zeitgenössischen Familiennamen. So änderten viele deutschstämmige Amerikaner und Briten während des ersten Weltkriegs ihren Nachnamen. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der britische Zweig der Familie Battenberg. Die Mitglieder des englischen Königshauses, die allgemein unter dem Namen Windsor bekannt sind, heißen seit 1917 aus politischen Gründen Mountbatten-Windsor.

Besondere Willkür erfuhren Menschen jüdischen Glaubens. In Deutschland und Mitteleuropa wurden sie erst Ende des 18. Jahrhunderts per Gesetz dazu gezwungen, einen Familiennamen zu führen. Die Gräuel des Dritten Reichs hatten im 20. Jahrhundert die Ausrottung vieler jüdischer Namen zur Folge, deren Umfang heute schwer zu bemessen ist. Die historischen Ereignissen und gesellschaftlichen Veränderungen zeigen sich in diesen Beispielen tatsächlich als angsteinflößende Mächte, die sich auf Familien und deren Namen zerstörerisch auswirken können. Hatten Galton und Watson mit ihrer These vom unausweichlichen Tod eines jeden Familiennamens also Recht?

Des Rätsels Lösung

Die Antwort ist Jein. Bereits in den 1930er Jahren wurde nachgewiesen, dass es für den Ausgang der Galton-Watson-Rechnung auch andere Optionen gibt. Watson hatte nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Familienname bei durchschnittlich zwei männlichen Nachkommen fortbesteht, liegt bei 80% [Quelle].

Doch wer kann dieser Tage im Schnitt schon zwei Stammhalter vorweisen? Familiennamen wie Fölgwin und seine Variationen Folkwein, Völkwin und Volquin sind mutmaßlich bereits ausgestorben. Die Variante Volkwein hat überlebt – vorerst. Denn angesichts der Geburtenrate in Deutschland von 1,39 Kindern pro Frau wird es nicht lange dauern, bis auch der Name Volkwein seinen Verwandten folgt.