Das Image von Namen
Rosemarie, Ben oder Luzifer – so allein stehend haben diese Namen zunächst keine Bedeutung im lexikalisch-semantischen Sinne. Wer oder was benannt wird, ist unklar, denn ohne Kontext gibt es kein Referenzobjekt, das mit ihnen identifiziert werden soll. Dennoch lösen die Namen Emotionen aus, evozieren Bilder und wecken Vermutungen über das Wesen des jeweiligen Namenträgers. Dies in unterschiedlich starkem Maße und zunächst individuell, trotzdem teilen wir viele der Konnotationen gemeinschaftlich innerhalb unseres Kulturkreises. Sie aufzuzeigen ist das Anliegen dieser Studie, deren Herzstück eine Online-Befragung zur Wahrnehmung von Vornamen bildet.
Prof. Udo Rudolph et al.
Langzeitstudie zu Vornamen-Konnotationen
Dass namenphysiognomische Eindrücke gemeinsam getragen werden, ist keine neue Erkenntnis. Die erste Durchführung dieser Studie zeigte dies ganz deutlich. So teilen wir ähnliche Vorstellungen über die vermeintliche Attraktivität von Namenträgern (Alessandro, Julienne vs. Arnulf, Dörte), ihre Intelligenz (Cornelius, Elisabeth vs. Mandy, Peggy) oder ihren Humor (Gotthard, Adeltraud vs. Charlie, Lilly).
Welche ähnliche Vermutungen Menschen anhand des Namen über das Wesen des Namenträgers anstellen, zeigten bereits frühere wissenschaftliche Arbeiten. Typischerweise basierten deren Ergebnisse auf Befragungen in der Größenordnung von Schulklassen oder Seminargruppen. Sie mussten aus Praktikabilitätsgründen mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Namen arbeiten. Verwiesen sei hier etwa auf Udo Rudolph, 2006, Torsten Hartmann, 1984, oder Reinhard Krien, 1973, der festhielt, dass die „Physiognomien von Namen innerhalb einer Sprachgemeinschaft gleichartig empfunden und bewertet werden“, was er einer Art kollektiver Intuition zuschrieb.
Diese Intuition ist durch objektive Gegebenheiten bedingt. Zwar werden die Empfindungen in geringem Maße auch durch die lautliche Gestalt eines Namen gelenkt. Das zeigte sich in der ersten Durchführung der Studie deutlich bei den als besonders sportlich konnotierten Namen, unter denen auffallend häufig solche auftraten, deren lautliche Gestalt als besonders zackig hervorstach (Lex, Jake, Tom ...). Weitaus gewichtiger scheint das gemeinschaftliche Bewertungsbild jedoch durch die Summe der Erfahrungen Einzelner gezeichnet zu sein.
Erfahrungen prägen unsere Erwartungen
In erster Linie sind es Erfahrungswerte, die unsere Annahmen über das vermeintliche Wesen der Namenträger lenken. Wie wir die Träger eines Namen bislang erlebt haben, prägt unsere Vorstellung darüber, wie andere Träger des selben oder eines ähnlichen Namen sein werden. Dort, wo die Mehrheit der Sprachgemeinschaft ähnliche Erfahrungen gemacht hat, werden auch ähnliche Erwartungen zum Wesen der Namenträger sichtbar. In vielen Bereichen gibt es objektive Ursachen dafür, dass wir Namen bestimmte Werte zuweisen.
Anschaulich kann das am Geschlecht einer Person illustriert werden. Nehmen wir Jens und Ines als Beispiel. Nichts an den Namen selbst deutet auf eine Geschlechterzuordnung hin. Weder die Lautung noch die Länge der Namen erlaubt eine Aussage. Dennoch wissen wir recht sicher, dass Jens ein Junge oder Mann sein wird, Ines ein Mädchen oder eine Frau. Es sind unsere bisherigen Erfahrungen, die diese Kategorisierung lenken. Träger des Namens Jens haben wir bislang als männlich erlebt, Träger des Namens Ines als weiblich.
Ähnlich verhält es sich mit dem vermeintlichen Alter, dem Umstand geschuldet, dass wir viele Namen in eine bestimmte Zeit verorten. Gertrud gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten Namen für neugeborene Mädchen, ähnlich wie Mia derzeit. Wenn wir heute auf Menschen dieser Namen treffen, ist es objektiv sehr wahrscheinlich, dass eine Getrud am Ende ihrer Lebensspanne angekommen ist, eine Mia noch am Anfang steht. Daraus leitet sich die Annahme ab, dass wohl auch bislang unbekannte Träger dieser Namen ähnlichen Altergruppen zugeordnet werden können.
Manche Namen waren nie so populär wie diese beiden und erfreuten sich länger einer moderaten Beliebtheit. Dort wird das Votum zum vermeintlichen Alter der Namenträger eher uneinheitlich ausfallen.
Besonders leicht fällt es, Vermutungen über die geografische Herkunft anzustellen, wenn der Name aus einem anderen Kulturraum kommt und so bereits als „fremd“ hervorsticht (Pik Shin, Mustafa, Vlad). Doch auch innerhalb des deutschen Sprachraums greifen regionale Namenvorlieben. Alois oder Florian können tendenziell eher nach Bayern verortet werden, Knud oder Arne hingegen nach Schleswig-Holstein.
Mutmaßungen über die vermeintliche Religiösität der Namenträger mögen teilweise mit der geografischen Verortung korrelieren. Andere Namen sind durch ihren Bezug auf heilige Schriften stark religiös behaftet.
Im Umfrageformular kann auch zu Intelligenz und Wohlstand gewertet werden. Doch gibt es überhaupt objektive Kriterien, die Rückschlüsse auf den sozialen Status zulassen?
Es ist nachgewiesen, dass Namenmoden schichtenspezifisch wirken. Bestimmte Rufnamen finden eher Akzeptanz in Akademikerfamilen, andere eher in Familien mit nicht-akademischen Abschlüssen. Das wies etwa Ute Utech in ihrer Arbeit Rufname und soziale Herkunft. Studien zur schichtenspezifischen Vornamenvergabe in Deutschland, 2011, (basierend auf Daten von 2004) nach. Sie zeigte, dass in dem Jahr, als Leonie und Leon die Hitlisten anführten, diese Namen tatsächlich nur Spitzenreiter bei Familien mit einfacher Berufsausbildung waren. Unter Akademikern waren sie nicht einmal unter den Top 10. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland geborene Kinder dieser Zeit mit Namen wie Jason, Justin und Maurice aus einer Familie ohne erlernten Beruf kamen, war ebenfalls sehr hoch. Eltern aus akademischen Schichten vergaben diese Namen selten.
Nicht im Einzelnen, jedoch in ihrer Gesamtheit können Vornamen daher ein Indikator für die Zugehörigkeit der Namengeber zu einer sozialen Gruppe sein, was wiederum die Entwicklungschancen der Namenträger beeinflusst.
Eltern setzen mit der Wahl eines Namens ein Zeichen. Sie signalisieren dem Umfeld, wie sie sich selbst innerhalb der Gesellschaft verortet sehen. Das Wertesystem der Namengeber fungiert dabei als Filter für potentiell infrage kommende Namen der Kinder, so dass Vornamen immer auch Rückschlüsse auf die Werte der Namengeber, der Eltern, zulassen.
Überarbeitete Umfrage
Im Kern dieser Studie steht eine Online-Befragung, die weder in ihrer zeitlichen Dauer noch durch eine Höchstzahl von Stimmabgaben begrenzt ist. Aus den abgegebenen Stimmen werden Onogramme (Onomastische [namenkundliche] Assoziationsdiagramme) geformt, die sichtbar machen, welche Konnotationen besonders ausgeprägt sind. Die jeweils am stärksten zu einem Punkt ausschlagenden Namen werden zusammengefasst, so dass sie auf Gemeinsamkeiten untersucht werden können.
Dr. Dietlind Kremer
In Zusammenarbeit mit dem Namenkundlichen Zentrum der Universität Leipzig wurde die Befragung zum Sommer 2014 grundlegend überarbeitet – das betrifft sowohl die unterliegende Verarbeitung der Daten sowie die abzufragenden Inhalte.
Die Skalenanker wurden angepasst, wobei Anregungen der Studierenden des Wahlbereichs Namenkunde berücksichtigt wurden. Einzelne Paare entfielen, andere wurden zusammengefasst, so dass weitere neu hinzukommen konnten.
Abgefragt werden die folgenden Paare:
Zum Namen selbst:
sehr vertraut | - | fremd (ersetzt bekannt/unbekannt sowie gewöhnlich/exotisch) |
Nicht wohlklingend | - | wohlklingend (bleibt) |
modisch | - | antiquiert (neu) |
Zu Charakteristika des Namenträgers:
männlich | - | weiblich (bleibt) |
jung | - | alt (bleibt) |
unsympathisch | - | sympathisch (neu) |
unsportlich | - | sportlich (bleibt) |
angepasst | - | unabhängig (neu) |
gesellig | - | einzelgängerisch (neu) |
arm | - | reich (bleibt) |
attraktiv | - | nicht attraktiv (bleibt) |
religiös | - | atheistisch (neu) |
nicht intelligent | - | sehr intelligent (bleibt) |
Gegenüber dem ersten Durchführungszeitraum entfallen:
groß - klein
frech - lieb
ernst - lustig
Das überarbeitete Handling der Daten wird es mittelfristig erlauben, zeitliche Ausschnitte ab Sommer 2014 rückwirkend zu betrachten. Dadurch wird erwartet, Wandel im sprachlichen Zeitgeist sichtbar machen zu können: das Empfinden von Euphonie und Namenmoden.
Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns dabei unterstützen, ein möglichst breites Meinungsbild einzufangen. Halten Sie gern auf dem Fragebogen Ihre Einschätzung zu den Vornamen fest und weisen Sie Freunde und Bekannte auf diese Umfrage hin, so dass wir aussagekräftige Onogramme zu allen Vornamen des Corpus gewinnen können.
Bis ausreichend Stimmen zusammengekommen sind, werden weiterhin die Onogramme basierend auf den Ergebnissen des ersten Durchführungszeitraums 2007-2014 angezeigt werden.
Hier gelangen Sie zur Vornamen-Umfrage.
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